Über ihn wollen wir auch sprechen. Er beschäftigt uns. Unser Sohn hat auch eine harte Zeit hinter sich. Ein bisschen steckt er auch noch drin.
Er war ziemlich genau 3 Jahre alt als seine Schwester geboren wurde. Er hat sie von Anfang an sehr geliebt. Eigentlich hat er sie schon geliebt, da war sie noch gar nicht auf der Welt. Bevor wir von den Schwierigkeiten erzählen, müssen wir unbedingt über die Liebe reden.
„Oooh. Ist da ein Baby drin?!“
Seitdem in seiner Kitagruppe zwei Kinder kleine Geschwisterchen bekommen hatten, fand er Babies irgendwie toll. Er erzählte dann und wann, dass wir auch ein Baby haben sollten. Als ich schwanger war, haben wir uns Zeit gelassen, es ihm zu erzählen, damit die Zeit bis zur Geburt einigermaßen absehbar ist. Aber wir lasen schon mal ab und zu „Ich will auch Geschwister haben“ und andere Bücher von kleinen Geschwistern. Er fand diese Bücher großartig. Wir mussten sie immer wieder lesen. Selbst als mein Bauch größer und größer wurde, schien es ihm nicht aufzufallen. Erst als mein Mann irgendwann sagte: „Also Mamas Bauch ist ja auch ganz schön dick geworden…“ gingen endlich die Lichter an. Seine Augen wurden groß und er sagte wie aus der Pistole geschossen: „Oooh. Ist da ein Baby drin?!“ Er war sehr glücklich. Er redete regelmäßig mit meinem Bauch: „Hallo Baby. Hier ist dein großer Bruder!“ pflegte er zu sagen. Auch den Menschen um uns herum, egal, ob wir sie kannten oder nicht, wurde nun öfters erzählt, dass „Mama ein Baby im Bauch hat“.
Prophezeiung: „Kleine Swesta“
Als ich noch relativ frisch schwanger war, waren wir eine Woche zusammen im Urlaub. Man sah keinen Bauch (Naja, jedenfalls keinen Babybauch) und nur Wenige wussten Bescheid, der große Bruder wusste von nichts. Wir saßen im Restaurant, ich kam gerade vom Buffett an unseren Tisch zurück als mein Mann mich verdutzt und verwirrt ansah, ein bisschen als hätte er ein Gespenst gesehen. Unser Sohn hatte wohl vor sich hingeredet, was nichts Neues war, er erzählte oft vor sich hin. Als er mich aber zum Tisch kommen sah, sagte er, mehr zu sich selbst: „Oh, da kommt mein Mama.“ Und gleich darauf: „Oh, da kommt mein kleine Swesta.“ Wir versuchten ihn auszufragen, was er damit meine, aber alle Gespräche liefen ins Leere. Fast als könne er sich nicht mehr erinnern, was er gerade gesagt hatte.
Während des Urlaubs hatten wir dann noch einmal eine ähnliche Situation in der er ganz unvermittelt plötzlich erklärte: „Ich hab ein kleine Swesta.“ Auch hier ging er auf keine Rückfragen ein und es war als wenn er nichts gesagt hätte. Seitdem waren wir allerdings mega gespannt, ob der große Bruder mit seiner Prophezeiung wohl Recht haben würde.
„Unser Baby ist endlich rausgekommen“
Als seine Schwester geboren war, konnte er es erst gar nicht begreifen. Er musste den Bauch sehen, der eindeutig nicht mehr so dick war wie vorher. Erst dann sackte es sichtlich. Und dann strahlte er mehr und mehr. Die ersten Wochen sagte er immer wieder und wieder strahlend: „Unser Baby ist endlich rausgekommen!“. Er erzählte es wirklich allen. Jeden Besuch begrüßte er mit diesen Worten. Auch unsere Geburtshebamme, die zum Nachgspräch vorbeikam, schmetterte er entgegegen: „Unser Baby ist endlich rausgekommen!“ „Nein, wirklich?!“ entgegnete sie dann lachend. Und er sagte aufgeregt: „Ja! Auf der Couch ist sie rausgeflutscht!“ „So so, auf der Couch?“ lächelte sie und ließ ihn dann stolz seine Schwester präsentieren.
Er selbst war schon immer ein ziemlich unabhängiges Kind, dass schon früh „sein eigenes Ding“ machte. Das änderte sich auch mit Baby nicht. Es ist nicht so, dass er die ganze Zeit bei mir oder seiner Schwester sein musste. Er ging eher seinem ganz normalen Alltag nach. Er war in der Kita, er spielte in seinem Zimmer oder mit seiner Patentante, er ließ sich von einem von uns vorlesen. Aber er kam regelmäßig um nach seiner Schwester zu sehen. Er betrachtete seine kleine Schwester für ein paar Minuten, sprach kurz mit ihr, gab ihr dann einen Kuss und ging wieder spielen. Den einen Tag, als er mal wieder da stand und sie ehrfürchtig anschaute, sagte er bewundernd und völlig verliebt: „Mama! Unser Baby ist so schön!“
„Projekt Baby“ als Gemeinschaftsprojekt
Uns ist Gemeinschaft und Zusammenhalt sehr wichtig, deshalb haben wir von Anfang an versucht das „Projekt Baby“ als Gemeinschaftsprojekt zu vermitteln. Wir sprachen immer von „unserem“ Baby bzw. eigentlich noch spezifischer; wir sagten meistens explizit: „…das Baby vom großen Bruder, Papa, Mama und Patentante“. Das Konzept ging gut auf, jedenfalls korrigierte er Jeden, der sagte „…deine Mama bekommt ein Baby“. Wir erklärten außerdem, dass Babies am Anfang noch nicht viel können. Sie würden nur schlafen, Babymilch trinken, in die Windel kacken und schreien. Wir sagten, dass es dauern würde bis unser Baby spielen könnte. Und dass Mama, Papa, Großer Bruder und Patentante bestimmt manchmal genervt sein werden, aber dass unser Baby nichts dafür kann, weil es noch so klein ist. Er saugte alle Informationen über das Leben mit Baby auf und gab sie dann und wann bei allen möglichen Gelegenheiten zum Besten.
Ob es nun wirklich an dieser Herangehensweise lag oder nicht. Er hat „uns“ mit „ihr“ bereits als Einheit verstanden, da war sie noch gar nicht auf der Welt. Und das setzte sich einfach fort. Seine Schwester gehörte einfach von Anfang an dazu. Er passte auf, dass sie überall dabei war. Wenn er spielte, sah er ab und an, ob sie noch da war. Wenn sie quakte, schickte er mich sofort zum Stillen, „weil sie bestimmt Hunger hat“. Wenn wir irgendwo hingingen, passte er auf, dass wir sie nicht vergessen würden. Er brach einmal verzweifelt in Tränen aus und weigerte sich ins Auto zu steigen, weil seine kleine Schwester (noch) nicht da war, die der Opa nur eine Sekunde später rausbrachte.
„Ich möchte noch viele Babies!“
Ja, es wurde hart für den großen Bruder. Aber er hatte und hat weniger Schwierigkeiten mit seiner kleinen Schwester als mit seinen Eltern, die sich so verändert haben. Die jetzt so schnell genervt sind. Die ihm nicht mehr zuhören. Die einfach nur wollen, dass er funktioniert. Damit hat er Schwierigkeiten und dagegen wehrt er sich.
Von Babies hat er nicht genug. Er hat schon öfters verkündet, dass er noch mindestens zwei Babies in unserer Familie haben will und fragt mich ab und zu, ob denn jetzt endlich das nächste Baby in meinem Bauch wohnt. „Na, gute Nacht!“ denke ich. „Ganz seiner Meinung!“ denkt der Papa.
…Eine alte Seele
Über den großen Bruder könnte man so viele Geschichten erzählen. Da er unser erstes Kind ist, haben wir keine Vergleichsmöglichkeiten, aber er kommt uns oft so erwachsen vor. Fast weise. Wie oft habe ich schon gedacht „Du bist drei! Wie kannst du über sowas nachdenken?!“?
Heute Abend habe ich den großen Bruder ins Bett gebracht und als er im Bett lag, sagte er plötzlich nachdenklich zu mir:
„Mama, ich weiß ja gar nicht, was ich später für eine andere Familie haben werde.“
„Mmh, was meinst du denn? Was denn für eine andere Familie?“
„Na, wenn ich mal ein Papa bin. Dann habe ich doch eine andere Familie. Aber die kenne ich doch gar nicht.“
Ich musste so in mich hineinlächeln. Er ist drei Jahre alt und schien sich Sorgen zu machen, dass er sich mit seiner „anderen“ Familie später nicht so gut verstehen könnte und unsere Familie von Heute dann nicht mehr dazu gehört. Ich versuchte zu erklären, dass die Familie dann nur größer wird und wir doch dann nicht weg sein werden. Ich sah es in seinem kleinen Hirn arbeiten, so ganz verstehen konnte er es nicht. Aber dann hellte sich sein Gesicht erleichtert auf und er sagte:
„Naja, aber ich bin ja noch ein Kind….“