Corona und wir

Wie sagte eine liebe Freundin in einer Sprachnachricht: „Oh man ey, was Heimquarantäne bedeutet habt ihr ja jetzt auch schon zu Genüge erlebt. Da seid ihr ja schon Profis.“ Jap. Da buddeln wir uns gerade wieder an die Oberfläche des (einigermaßen) aktiven Lebens… und Zack! kommt so ein mistkacksaudämlicher Virus und verbannt uns wieder in unsere vier Wände.

Der Plan (der für’n Arsch war)

Wir hatten Pläne: Leider ging es meinem Mann emotional immer schlechter. Er brauchte dringend Zeit zum Durchatmen. Zeit ohne Babytochter. Mein Mann und ich hatten also eine Auszeit für ihn vereinbart: Nach unserem (dann ja leider misslungenen) Urlaub würde er 6 Wochen in unserer Familienfirma „mitlaufen“. Eine Art Praktikum. So könnte er die Arbeit mal kennenlernen, vielleicht ein bisschen helfen, und vor allem hätte er mal echte Pause von unserer Tochter. Oh man, er hätte sie nötig gehabt und ich hätte es ihm nach dem Rückschlag so gegönnt. Und was ist? Statt Pause zum Durchatmen bekommt er das kitafreie „durch den Wind“ dreijährige Kind dazu. Prost Mahlzeit! Danke Corona. Und ich? Um ehrlich zu sein hatte ich mich im Gegenzug auf die Zeit mit unserer Tochter richtig gefreut. Dazu kam, dass eine meiner besten Freundinnen gerade ihr erstes Baby bekommen hatte… wir hatten schon ausgemacht, dass wir viel Zeit miteinander und unseren Babies verbringen wollten. So richtig Elternzeitmuttimäßig eben. Sowas hatte ich noch nie. Ach man. Pustekuchen. Nix is‘.

Die Kinder

Das, was unsere Tochter nicht mehr weint und schreit, gröhlt und kreischt sie jetzt. Von der Frequenz her ist das leider ähnlich wie das Schreien. Wenn mir Jemand vorher gesagt hätte, dass ein Kind einem das Hirn matschig quietschen kann, dann hätte ich das für Übertrieben gehalten. Aber ich bin ja lernfähig und weiß es nun besser. Sie schmeißt besonders gern die Sirene an, wenn man sich unterhalten will. Ihr großer Bruder wollte uns im Auto neulich etwas erzählen. Keine Chance. Sobald sie seine Stimme hört, fällt sie mit ohrenbetäubendem Quietschen so dazwischen, dass ich ihn beim besten Willen nicht verstehen kann. So sind dann oft auch gemeinsame Mahlzeiten anstrengend. Der ständige Lautstärkepegel macht vor Allem meinen Mann mürbe. Auch wenn es glücklicherweise nicht ganz so häufig ist wie das Weinenschreien, drückt das viele Kreischschreien doch sehr ähnliche Knöpfe bei meinem Mann und mir. Wir haben wieder (oder weiterhin) allzu oft das Gefühl, dass uns die Gehörgänge platzen und wir den Verstand verlieren. Von Corona kriegt sie aber wohl am wenigsten mit. Ich glaube, sie findet es cool, dass ihr Bruder so viel da ist.

Nachdem der große Bruder Ende letzten Jahres und Anfang diesen Jahres eine wirklich harte Zeit mit seinen gestressten Eltern hatte, fing die Situation gerade an, sich ein wenig zu entspannen. Langsam, ganz langsam, aber wahrnehmbar. Wir hatten Hoffnung. Dank Corona-Isolation ist er nun wieder neben der Spur: Aufgedreht, vor Wut tobend, nicht ansprechbar, todtraurig, hyperaktiv. Und all diese Gefühlslagen hintereinanderweg im schnellen Wechsel. Er war schon immer ein „Herdentier“, wie wir es nennen, und es ist schrecklich für ihn, dass er keine sozialen Kontakte haben darf. Er vermisst seine Kita-Freunde und Erzieherinnen. Er vermisst die Omas und Opas so unglaublich. Er fragt jeden Tag nach unseren Freunden. Er will zu A in den Garten und Stockbrot machen. Er will zu B und auf dem Trampolin springen. Er will, dass C uns besucht und Nintendo-Switch mit ihm zockt. Er will zu D um zu schauen, wie groß das Baby mittlerweile ist. So viele Menschen sind ihm so wichtig. Das ist so rührend und so traurig zu gleich.
Der Große muss in der Isolation natürlich wieder zurückstecken. Denn wenn mein Mann allein ist und die beiden Kinder getrennt werden müssen, damit alle überleben, dann muss er sich alleine ein Buch anschauen oder die Schienen aufbauen. Unsere Tochter kann man noch nicht unbeaufsichtigt lassen bzw. sind wir nicht der Typ Eltern, die das Baby allein ins Gitterbett stecken und es brüllen lassen. Der große Brüder gibt sich Mühe und macht es für sein Alter auch wirklich großartig mit. Wir sind ja schnell am Meckern, aber er ist ja auch erst 3.

Die Eltern

Ich schätze, an Niemandem geht das ganze Virusdingens spurlos vorüber. Mein Mann und ich sind vom Wesen her sehr unterschiedlich und so gehen wir auch mit so einer Ausnahmesituation sehr unterschiedlich um. Mein Mann hat zusätzlich zur ganzen Ungewissheit, die die Situation für Alle mit sich bringt, die Hauptarbeit mit den zwei Kindern zu Hause, denen man allein eigentlich nicht gerecht werden kann. Allein diese Situation würde einen schon ohne Corona-Sorgen fertig machen. Ansonsten „muss“ er jedes Bisschen über die Entwicklungen in dieser Krise lesen. Er hängt am Smartphone und saugt alle Informationen auf. Er liest von Pro und Contra, von Statistiken und Zahlen. Er weiß, wie die Wissenschaftler heißen und wer welche Theorien vertritt. Und alle halbe Stunde gibt es einen neuen Artikel, eine neue Reportage, ein neues Interview, das die ganze Situation noch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Mein Mann sagt, es gibt ihm wenigstens ein bisschen Sicherheit in der Unsicherheit. Wenn man nichts weiß, dann geben Informationen ein Stück Kontrolle. Ich finde es aber trotzdem nicht gut. Ich habe das Gefühl, dass diese Flut an Nachrichten ihn lähmen und nur noch mehr Sorgen bereiten.

Zumindest ging es mir so. Ich hab beschlossen nur noch ein bis zwei Mal am Tag eine Nachrichtenübersicht zu gucken bzw. zu lesen. Mir macht gar nicht so sehr dieses blöde Virus Angst, sondern ich finde es erschreckend, wie Menschen darauf reagieren. Man sagt ja, die Krise bringe das Beste und Schlechteste der Menschen zum Vorschein. Ich verstehe nicht, wie Menschen andere Menschen mit Steinen bewerfen können, nur weil sie „asiatisch aussehen“. Ich verstehe nicht, wie man einen Menschen verprügeln kann, nur weil er genießt hat. Ich verstehe nicht, wie Menschen überlebenswichtige Utensilien aus einer Kinderkrankenstation stehlen können (EINE KINDERKRANKENSTATION! Das will nicht in meinen Kopf!). Das macht mir Angst und in Gedanken machen sich verschiedene Dystopien breit. Für ein seelisches Gegengewicht brauche ich Nachrichten von Nachbarschaftshilfe, davon wie der Student für seine ältere Nachbarin einkaufen geht. Und Geschichten, in denen spanische Polizisten sich vor Wohnungsblöcke stellen und zur Gitarre Lieder für die isolierten Kinder auf den Balkonen singen… überhaupt die Videos von wunderschönen Balkon-Konzerten. Oder die Geschichte, wie ein Vermieter seiner Mieterin mit dem kleinen Friseurladen für den nächsten Monat die Miete erlässt. Und die vielen Regenbögen an den Fensterscheiben und mit Kreide gemalt auf den Gehwegen. So etwas hilft mir, nicht den Mut zu verlieren und an das Gute zu glauben.

Tja. So wurschtelt man sich durch einen Tag nach dem anderen. Abends streiten wir darüber, was man noch darf und was nicht. Und immer wieder beschleicht mich das Gefühl als sei man plötzlich Hauptdarsteller in einem Kinofilm zu dem man das Drehbuch aber nicht vorher lesen konnte. Man fragt sich also permanent: „Was zum Geier tu ich hier eigentlich gerade?“

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