Brief an den Baby-Fotografen

Hallo lieber Baby-Fotograf, hallo liebe Baby-Fotografin,

ich wollte dir sagen, wie wunderschön ich deine Aufnahmen finde. Seit ich schwanger bin, schaue ich sie mir auf deiner Website an. Du postest immer mal wieder Fotos von einem Shooting und es geht einem das Herz auf. Da sind die vielen Babies, die vielen Mütter, die vielen Familien. Alle sind glücklich und alle sind friedlich. Glückseelige Fotos vom Stillen. Fotos mit den erwartungsvollen, großen Geschwistern. Fotos in niedlichen Baby-Outfits. In der Schwangerschaft habe ich mir ausgemalt, wie du uns später auch fotografieren wirst.

Und jetzt? Die Ruhe, Geborgenheit und Liebe, die deine Bilder so wunderbar ausstrahlen, lassen sich für mich nur schwer ertragen. Hier fühlt sich nichts nach Ruhe und Geborgenheit an. Und in ganz schlimmen Momenten weiß ich auch nicht, wo die Liebe hin ist. Wir rotieren den ganzen Tag, stehen immer unter Strom. Immernoch sehe ich deine wunderschönen Bilder auf meinen Social Media Kanälen und ich schaue sie immernoch so gern an, auch wenn sich mir dabei die Kehle zuschnürt.
Ich werde dich wohl nicht fragen, ob du uns fotografieren würdest. Was solltest du hier auch fotografieren. Eine Still-Episode, die eher einem Nahkampf gleicht und im Tobsuchtsanfall endet, weil es nicht schnell genug geht? Oder den großen Bruder mit Lärmschutzkopfhörern? Das verdreckte Outfit, das unser Baby seit zwei Wochen Tag und Nacht trägt, weil jedes Umziehen der absolute Horror ist? Das will doch keiner sehen.
Da du nach Stunden bezahlt wirst, kann ich es mir nicht leisten, dich den ganzen Tag hier zu haben, nur um die einen 15 Minuten zu erwischen an denen das Baby vielleicht zufrieden ist. Und ich weiß auch nicht, ob du mit einem ständig schreiendem Baby umgehen kannst?! Wir wollen auch nicht plötzlich vor dir losheulen und dich in Verlegenheit bringen. Wir haben ständig Angst, dass Andere mit unserer Situation überfordert sind.

Das ist alles nicht deine Schuld! Ich schreibe dir nicht, um dir Vorwürfe zu machen. Und ich will auch nicht, dass du aufhörst, wunderbar friedliche Babies zu fotografieren. Ich wollte nur ein paar Dinge vorschlagen. Vielleicht hast du ja Lust, das ein oder andere umzusetzen:
Wenn du keine Angst vor ständig schreienden Babies hast, dann erwähne das doch auf deiner Website. Nur ein kleiner, verständnisvoller Satz und ich müsste mich nicht fragen, ob du wohl mit uns klar kommen könntest. Oder, wenn du ganz krass drauf bist, könntest du „Schreibaby“ als Kategorie aufnehmen. Also so wie Schwangerschaftsshooting oder Geschwister-Shooting. Das wär’s doch. Du könntest Eltern davon überzeugen, dass auch ihre Geschichte es wert ist, festgehalten zu werden. Mit all den Tränen und der Erschöpfung. Denn du bist gut. Ich weiß, du fändest auch in diesen – unseren – Geschichten die Funken von Hoffnung und Schönheit. Sie sind vielleicht klein, aber dafür umso wertvoller für uns als Familien. Oder vielleicht könntest du auch Sonderkonditionen bei deiner Bezahlung nach Stunden anbieten. Sowas wie: Ihr zahlt das 3h-Shooting, aber ich gehe erst, wenn wir wenigstens ein nicht-schreiverzehrtes Babygesicht im Kasten haben. (Ich weiß, ich weiß. Du lebst auch nicht nur von Luft und Liebe. Es ist auch nur eine Idee.)

Solltest du mal die Auftragsfotografie an den Nagel hängen und in die Kunst-Szene wechseln, dann könntest du ja das Thema „Schreibabyfamilien“ als Fotoprojekt starten. Ok, du müsstest vielleicht noch einen anderen fancy name für das Projekt finden. (Komm da gern auf mich zu, wir finden was! Sowas wie „Der letzte Schrei“?! Du siehst: Ich hab’s drauf.) Dann hängen irgendwann „Heulende Eltern am Küchentisch“ und „Großer Bruder mit Lärmschutzkopfhörern“ und „Baby im verdreckten Outfit“ in einer Galerie im alternativen Szene-Kiez. Weil es vielleicht doch Jemand sehen will?! Weil Leben doch eigentlich auch immer interessant ist.

Vielleicht machst du sogar alles, was ich dir vorgeschlagen habe und niemand meldet sich jemals bei dir für ein „Schreibaby-Fotoshooting“. Dann sei bitte nicht verärgert! Vielleicht haben wir doch einfach nicht die Kraft oder den Mut das Telefon in die Hand zu nehmen. Aber ich versichere dir: Wenn wir deine netten Worte auf deiner Website gelesen haben, fühlen wir uns nicht mehr so allein. Nicht mehr so unsichtbar. Denn Jemand weiß, dass es uns gibt. Wir fühlen uns gesehen. Das ist eine Menge wert. Und das Unsichtbare sichtbar zu machen, darin bist du doch sowieso ganz großartig.

Aus tiefstem Herzen: Vielen Dank!