Rucken zur Unterbrechung.
In meiner Familie haben wir ein Kind, mittlerweile Jugendlicher, der als Baby geschüttelt wurde. Er war ein gesundes Baby, erlitt dadurch schwere Hirnblutungen, ist jetzt Epileptiker und halbseitig gelähmt. Er spricht nur wenige Worte und oft wissen wir nicht, was er versteht oder auch nicht. Deshalb ist „Schüttel niemals dein Baby!“ ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Noch mehr seit unser erstes Kind die ersten Monate so viel geschrien hat und ich am eigenen Leib erfahren hab, wie groß der Drang sein kann, dem Baby einen Ruck zu geben.
Ich finde eigentlich das „Schütteln“ das falsche Wort ist. Man denkt an das Schütteln eines Cocktails oder Ähnliches. Zumindest ich wollte unseren Sohn nicht schütteln wie einen Cocktail, sondern ich wollte ihm einen Ruck geben. Ich wolllte ihn kurz und heftig rucken in der Hoffnung, ihn aus seiner Besinnungslosigkeit herauszukriegen. Aber jedes Rucken, jedes Schütteln kann tödlich sein für einen Säugling. Durch ruckartige Bewegungen können Gehirnblutungen entstehen, die das Baby schwer schädigen oder sogar töten können.
Der Druck des Nicht-Schreien-lassens.
Die meisten Eltern, die ich kenne, wollen ihr Baby nicht schreien lassen. Auch das ist ein Grundsatz der bindungsorientierten Erziehung bzw. des Attachment Parenting. Und das ist gut so. Das ist richtig so. Es ist so mega gut, dass die meisten Säuglinge und kleinen Kinder sich nicht mehr allein in ihren Betten in den Schlaf weinen müssen. Über AP wird so viel geschrieben. Mit die größte Kritik ist, dass Eltern und vor allem Mütter sich so extrem unter Druck setzen. Ich kann das aus Facebook-Gruppen und Co. bestätigen. Da machen sich Mütter wirklich völlig fertig, weil sie mal nicht mitbekommen haben, dass ihr Baby geweint hat (unter der Dusche, Babyphone war aus, irgendsowas was nun mal jedem passieren kann). Sie denken wirklich, dass sie nun ihr Kind komplett verkorkst haben und das nie wieder gut zu machen ist. Was für ein Druck!
Der Grundsatz „Das Baby darf unter gar keinen Umständen, also niemals, nie, auf keinen Fall, auch nur 3 Minuten alleine schreien, sonst wird es auf ewig seelische Qualen erleiden!“ setzt Eltern enorm unter Druck.
Für Eltern von Schreibabies gilt das natürlich im besonderen Maße, denn die Wahrscheinlichkeit ist höher an diesem Anspruch zu scheitern.
Schreienlassen ist kein Therapieansatz. Aber besser als außer sich zu geraten.
Zur Klarstellung: Sein Baby alleine schreien zu lassen ist niemals Therapie oder Behandlung. Es ist niemals erzieherische Maßnahme. Es ist keine Möglichkeit um seine pädagogischen Ziele durchzusetzen. Davon bin ich überzeugt. Es ist die letzte Möglichkeit eine Situation zu durchbrechen, in der man sich vielleicht bald nicht mehr unter Kontrolle hat. Und dafür sollte man sich besser zu früh als zu spät entscheiden. Das Schreien kann unser Gehirn ausschalten. Dann bleiben in der Extremsituation Flucht oder Kampf. Bevor einen die Wut und Verzweiflung übermannt, sind wir angehalten das schreiende Baby sicher in sein Bett oder auch auf den Fußboden zu legen, den Raum zu verlassen und die Tür zuzumachen. Und durchzuatmen. Am allerbesten an der frischen Luft. Dann ein Glaß kaltes, frisches Wasser.
Es ist okay! Sagt euch das! Erzähl es deiner Freundin!
Wer sagt „Also, ich könnte mein Baby niemals schütteln…“ oder „Ich kann einfach nicht verstehen, wie man sein Baby schütteln kann“ hat diese Grenzsituation vielleicht nie erlebt. Der kann sich glücklich schätzen, denn es ist kein schönes Gefühl, sich so hilflos zu fühlen. Ich persönlich muss unsere Tochter vor allem beim Stillen manchmal von mir weglegen, weil ich das Gezucke, das Gekratze, das Gemecker, das Gezappel, das Gegrabbel nicht mehr ertragen kann. Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch und meine unruhige Tochter übertritt quasi permanent meine persönlichen Grenzen. Das gehört zum Muttersein, das weiß ich. Sie darf das, sie ist ein Baby. Ich bin herausgefordert und übe mich darin, das alles so anzunehmen.
Aber ich bin keine Maschine und je nach Gemütslage und Tagesverfassug kann ich es manchmal nicht ertragen.