Um die Geburtstage der Kinder rum mehren sich bei meinem Mann und mir die „Weißt du noch?“s, begleitet von Seufzen und einer Prise Wehmütigkeit. Der erste Geburtstag ist nochmal besonders besonders, denn das Baby ist nun kein Baby mehr. Also blicken wir zurück. Auf diesen besonderen Tag. Einmal von ihr. Einmal von ihm.
Seine Geschichte
Eine Woche vor der Geburt. Wir üben schon mal den Ernstfall. Falscher Alarm mit Allem drum und dran. Ich bin auf Arbeit, meine Frau ruft an. „Es geht los! Kannst du bitte nach Hause kommen?“ Das verabredete Prozedere beginnt. Ich verabschiede mich auf der Arbeit von allen relevanten Personen, auf dem Weg nach Hause rufe ich meinen Schwiegervater an und frage ihn, ob er unseren Sohn aus der KiTa holen kann. Zu Hause angekommen bereite ich Schlafzimmer und Wohnzimmer vor und gemeinsam warten wir auf die Dinge die da kommen mögen. Ja, wir planten eine Hausgeburt. Unser Sohn kam bereits im Geburtshaus zur Welt, dieses Mal sollte der Nachwuchs zu Hause zur Welt kommen dürfen. Vor lauter Warten schlafe ich jedoch mehrfach ein, was meine Frau ein wenig ärgert. Ich kann aber einfach nichts dran ändern, ich bin ziemlich fertig. Die Hitze der letzten Wochen ist auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Der Tag dümpelt so vor sich hin, irgendwann am späteren Abend nach einem gemeinsamen Abendessen beschließen wir, dass ich schlafen gehen sollte und meine Frau mich weckt, falls es losgehen sollte. Oder mein Arbeitswecker, falls nicht. Am nächsten Tag gehe ich (nach kurzer Rücksprache) arbeiten und hole auch unseren Sohn wieder von der KiTa ab, der die Nacht bei Oma und Opa verbringen durfte. Meine Frau ist frustriert, dass nichts losging – ich kann es ihr nicht verübeln.
Acht Tage später. Ich bin bereits auf der Arbeit angekommen, als mich eine SMS meiner Frau erreicht. „Der Schleimpfropf ist abgegangen. Es geht los.“ Ich rufe sie an und wir verabreden, dass sie mich anruft, wenn ich losfahren und nach Hause kommen soll. Ab sofort trage ich mein Handy permanent am Mann (und schaue gefühlt alle 5 Minuten auf das Display), informiere meine unmittelbaren Kollegen ob der sich anbahnenden Situation der „Dienstübergabe“ und versuche so normal wie möglich weiterzuarbeiten. Um 10.10 Uhr dann der Anruf – zu der Zeit frühstücke ich gerade mit den Kindern und muss erstmal in den Pausenraum, um meine Vertretung zu informieren. Nach freudigem Verabschieden und offiziellem Abmelden im Büro fahre ich gegen 10.30 Uhr los. Meine Arbeitsstelle ist am anderen Ende der Stadt. Ich rufe zuerst wieder den Opa an – Ja, er holt den Großen aus der KiTa, wünscht uns alles Gute und teilt mir noch mit, dass er sich natürlich freut, wenn wir ihn später informieren. Im Anschluss nochmal die Frau anrufen, mitteilen, dass ich gegen 11.00 Uhr zu Hause sein werde. Da bin ich schon auf der Autobahn.
Zu Hause angekommen (noch vor der Zeit, Dank Parkplatz vor der Haustür) beginnt wieder der bereits eintrainierte Ablauf. Meine Frau wirkt schon nicht mehr ganz „da“, sie gibt mir noch einzelne Anweisungen, scheint aber schon recht tief in ihre Hypnose abgetaucht zu sein. Ich rufe unsere Hebamme an und bitte sie zu kommen. Zwanzig Minuten würde sie wohl brauchen. Es läuft alles nach Plan, ich reiche meiner Frau Getränke und nasse Lappen, um ihre Stirn zu kühlen. Kurz vor der erwarteten Ankunft bittet mich meine Frau leicht panisch, unsere Hebamme sofort nochmal anzurufen, um ihr zu sagen, dass wir besser doch in die Klinik fahren, sie schaffe das körperlich nicht mehr. Ein wenig aufgescheucht (ich hoffe innerlich, dass wir diesen Gang nicht gehen müssen, weil meine Frau sich im Vorfeld sehnlichst gewünscht hat, das genau das nicht eintritt) tue ich dies, unsere Hebamme beruhigt mich aber am Telefon, sie steht schon fast unten und will sich erstmal selbst ein Bild verschaffen, bevor wir hier „alle Hühner aufscheuchen“. Sie kann meine Frau davon überzeugen, erstmal ein paar Untersuchungen durchzuführen. Gemeinsam schaffen wir es, meine Frau davon zu überzeugen, dass sie das schaffen wird. Dass sie stark genug dafür ist, unsere Tochter genau hier zu Hause zur Welt zu bringen. Es ist absolut surreal: Wir reden miteinander und trotzdem habe ich das Gefühl, dass meine Frau ganz woanders ist, diese Tiefenentspannung scheint wirklich im wahrsten Sinne des Wortes „tief“. Ich übernehme die Kommunikation mit unserer Hebamme und versuche ansonsten, für meine Frau da zu sein und sie dabei aber doch so gut wie möglich „in Ruhe“ zu lassen. Ich bin beeindruckt. Tief beeindruckt. Von meiner Frau, wie sie erst im Stehen, dann im Liegen Welle um Welle veratmet, ruhig bleibt, auf sich selbst fokussiert. Beeindruckt, von unserer wahnsinnig tollen Hebamme, die gleichzeitig einfühlsam, bestimmt und organisiert ist: Zugang legen für später, zweite Hebamme anrufen, Schreibkram erledigen, immer wieder nach meiner Frau und mir „schauen“. Zwischendurch entschuldigt sie sich für das „Durcheinander“ und sagt, sie hätte in der Regel ein bisschen mehr Zeit, aber hier ginge es sehr schnell. Humorvoll bleibt sie trotzdem. Nachdem z.B. der Geburtsvorgang ihre Hose komplett durchnässt und sie festgestellt hat, dass die Ersatzhose nicht dabei ist, sagt sie zu mir: „Sorry, da musst du jetzt durch, ich ziehe jetzt meine Hose aus.“ Mir macht die Hebamme im Schlüppi nix aus, ich hab sowieso Anderes zu tun. Nachdem um kurz nach 12 Uhr die zweite Hebamme eintrifft, geht es wieder recht schnell. Zum Glück habe ich diesmal vorher meinen Ehering abgelegt (Lerneffekt aus der Geburt unseres Sohnes), denn das Hand halten ist auch dieses Mal wieder sehr schmerzhaft für mich. Wahnsinn, was da für Kräfte durch den Körper der Frau gehen. Meine Frau macht das gut. Richtig gut. Sie wird mehrfach von unserer Hebamme gelobt (Ja, ok, sie wird wohl alle Frauen unter der Geburt loben.). Um 12.34 Uhr ist es dann soweit. Das Frollein ist da! Sie darf erstmal vor meiner Frau auf der Couch liegen bleiben und von ihr abgetrocknet werden (Nachdem meine Frau ihre Brille erhalten hat, beste und witzigste Post-Natale-Situation überhaupt!). Ich darf sie nach ein paar Momenten hoch nehmen und meiner Frau auf die Brust legen. Dieses Gefühl, das erste Mal das eigene Kind hochzunehmen, verliert auch beim zweiten Mal nicht ein winziges bisschen Faszination, Glück und Staunen. Wahnsinn, das ist unsere, meine Tochter!
Ich übernehme unsere Tochter bald wieder von meiner Frau, die unruhig ist, weil die Plazenta auf sich warten lässt. Während unsere Hebamme und meine Frau alles Mögliche probieren, um die Plazenta davon zu überzeugen, sich in Bewegung zu setzen, kümmern unsere zweite Hebamme und ich uns um unsere Tochter. Noch ein bisschen kuscheln. Später die U1. Anziehen. Ich bin zwar schon „erfahren“ und trotzdem habe ich es wie in Zeitlupe in Erinnerung. Es ist einfach so krass, wie winzig wirklich alles an Neugeborenen ist.
Nach einer knappen Stunde voller Glückseligkeit (auf meiner Seite zumindest) dann der befürchtete „unschöne“ Teil. Die Plazenta will nicht, unsere Hebamme ruft den Notarzt. Die Plazenta soll nun wohl in der Klinik per OP „geholt“ werden. Nach erstaunlich kurzer Zeit stehen viele Menschen in unserem Wohnzimmer – Notärztin, Rettungssanitäter und eben wir. Plötzlich wirkt das Zimmer doch gar nicht mehr so groß. In den Minuten vor Ankunft konnten wir schon das weitere Prozedere besprechen, das half uns, das Ganze einzuordnen und ruhig zu bleiben. Unsere Hebamme würde mit meiner Frau mitfahren, ich würde mit der zweiten Hebamme zu Hause in Ruhe alles fertig machen: Papierkram, Kind fertig anziehen, weitere Sachen für die Klinik zusammenpacken. Gesagt getan. Trotz der etwas unklaren körperlichen Situation meiner Frau hatte ich zu keiner Zeit das Gefühl, irgendetwas könnte schief gehen. Hier geht ein großer Dank an die moderne Medizin und aber vor Allem an unsere beiden so großartigen Hebammen. Mit Ruhe, Geduld und Einfühlsamkeit die Situation überblicken und schildern, was Phase ist. Ich habe sowas von krassen Respekt für diesen Berufsstand!
Fertig gepackt, will ich schon los, da bittet mich unsere zweite Hebamme darum, mich noch einmal zu setzen. Das Adrenalin lässt langsam nach und vielleicht bin ich etwas bleich. Ich esse noch etwas, trinke noch ausgiebig Wasser und nach zehnminütigem Plaudern (was wohl benutzt wurde, um mich und meine Vitalwerte zu beobachten, aber auf sehr sehr nette Art und Weise!) verabschieden wir uns. Das Frollein und ich machen uns auf den Weg und lassen die zweite Hebamme zurück, die sich nun um unser Wohnzimmer „kümmert“.
Die Fahrt in die Klinik habe ich kaum noch in Erinnerung – ich weiß nur noch, dass ich froh war ein Navi zu haben, welches den Weg vorgibt und kindlich stolz meine Tochter volle zwanzig Minuten mit der besten Musik überhaupt vertraut zu machen – Pearl Jam.
An der Klinik angekommen verständigten unsere Hebamme und ich uns per Telefon über unsere Standorte – ich fand sie sehr schnell. Auch hier wieder das Loblied auf diese Hebamme: Sie klärte mich über das Befinden meiner Frau auf, die bereits im OP war und erklärte mir das Vorgehen. Sie half mir bei der Kommunikation mit dem Stationspersonal. Sie sprach mir Mut zu und beim gemeinsamen Plaudern realisierte ich mehr und mehr: Es ist bald geschafft. Alles wird gut werden. Als meine Frau aus dem OP kam (alles gut verlaufen, die Ärzte waren sehr zufrieden) waren wir bereits im Zimmer und erwarteten sie. Die erste Zeit nach dem Aufwachen war sie noch sehr benommen. Das sorgte nicht nur für aufgeheiterte Stimmung bei unserer Hebamme und mir, es führte auch dazu, dass ich Frau und Kind beim Stillprozess noch sehr „stützen“ musste. Aber es war geschafft! Unsere Hebamme beglückwünschte uns, blieb noch eine Weile und machte sich irgendwann auf den Heimweg. Wir drei konnten nach ein paar Stunden in ein Familienzimmer umziehen – so konnte ich bei meiner Frau und unserer Tochter bleiben. Zwei Tage mussten wir noch bleiben, dann war meine Frau soweit fit für die Heimreise – unser neuer Lebensabschnitt zu viert (der große Bruder durfte seine Schwester und uns zwischendurch besuchen) konnte nun beginnen.