Zugegeben war das hier überhaupt nicht geplant. Wir haben gar nichts gegen den Weihnachtsmann (nur eben auch nichts für ihn). Es ist für uns auch okay, wenn andere Familien mit Weihnachtsmann feiern wollen. Eigentlich hatten wir ein entspanntes Verhältnis zu dem netten Herren mit weißen Bart. Leben und leben lassen. Nun funktioniert diese Strategie für uns nicht mehr.
Wir kommen nicht an ihm vorbei
Während wir Jedem seinen Weihnachtsmann lassen, haben wir im Gegenzug das Gefühl, dass man uns mit dem Typen aber nicht in Ruhe lassen kann. Es macht uns verrückt. Also, da ist uns Menschen als magisches Weihnachtswesen nichts besseres als ein alter weißer Mann eingefallen. Skurril. Nennt mich pingelig, aber ich finde, die (westliche) Menschheit kann sich da keiner großen Kreativität rühmen. Aargh. Als das Großkind noch klein war, hat es das nicht alles verstanden. Aber mittlerweile… In der Kita wird an den Weihnachtsmann geschrieben und er antwortet auch noch. Sie schneiden aus Spielzeugkatalogen “Wünsche” aus um einen Wunschzettel für den Weihnachtsmann zu basteln. Bei der letzten Kita-Weihnachtsfeier gab es einen verkleideten Weihnachtsmann, der Geschenke gebracht hat. Aber nicht nur in der Kita, sondern überall. Man entkommt dem doofen Rotmäntelchen einfach nicht. An der Supermarktkasse fragt jeder zweite Kassierer die Kinder in der Weihnachtszeit, ob sie sich schon auf den Weihnachtsmann freuen. Sogar random Leute auf der Straße. Mein Mann und ich wollten einer freundlichen Dame ins Gesicht springen als sie am 2. Weihnachtsfeiertag neben uns an der Ampel stand und plötzlich die Kinder fragte: “Na? War der Weihnachtsmann schon da?” (Scheiße man, nein, war er nicht. Der kommt auch nicht. Danke der Nachfrage.) Wir waren zu perplex und haben nichts gesagt. Ja, all die freundlichen Menschen haben nichts böses im Sinn, aber für uns fühlt es sich jedes Mal wie eine Grenzüberschreitung an. Als ob sich die ganze Welt in unser Weihnachten einmischt.
Um den heißen Weihnachtsbrei
Das Großkind ist 5. Wie wir das bisher gemacht haben? Wir sind so ein bisschen “drum-herum geschippert”. Die ersten Jahre war er sowieso noch zu klein. Angefangen hat es dann mit 3 Jahren. Das war das Jahr, als der verkleidete Weihnachtsmann bei der Kita-Weihnachtsfeier war. Es war trotzdem okay, denn wir konnten es einfach trennen: “Der Weihnachtsmann gehört in die Kita, aber Zuhause schenken wir uns gegenseitig was, weil wir uns lieb haben.” Das funktionierte mit 4 immer noch, aber die Luft wurde merklich dünner. Wir haben ihn schon extra beim Geschenke einpacken eingebunden und in den Wochen vor Weihnachten demonstrativ immer mehr eingepackte Geschenke unter den Baum gelegt. Er hatte große Freude dabei, das Geschenk für seine kleine Schwester mit einzupacken. So hat er mitbekommen, dass die Geschenke von uns kommen. Trotzdem war der Weihnachtsmann in Kita und sonst überall so präsent, dass er immer wieder interessiert fragte, wo denn der Weihnachtsmann sei und was es damit auf sich habe. Wir haben immer betont, dass wir uns zu Hause selbst etwas schenken, weil wir uns lieb haben, und dass wir ansonsten nicht viel über den Weihnachtsmann wissen.
Wir hatten sehr gehofft, dass wir diese Strategie einfach weiterfahren können. Pustekuchen. Im September kam er bereits mit dem ersten aus dem Katalog ausgeschnittenem Spielzeug für die Wunschliste. Ich sagte, dass es noch lang hin sei bis Weihnachten, aber das wir alle Wünsche sammeln werden. Da sagt er ganz lässig: “Nein Mama. Dieses Jahr braucht ihr euch nicht um die Geschenke zu kümmern. Dieses Jahr macht das alles der Weihnachtsmann.” Mir ist die Kinnlade runtergefallen. Ich musste lachen, und innerlich auch ein bisschen weinen. Denn ich wusste, dass das bedeutet, dass wir wohl den Weihnachtsmann umbringen müssen und dass das unserem Kind nicht gefallen wird.
“Warst du auch schön lieb?”
Da ist noch die Sache mit dem “artig sein”. Ich hab schon geschrieben, warum unsere Kinder nicht im klassischen Sinne hören müssen. Deshalb wollen wir auch keine “braven” und “lieben” Kinder, die Angst haben, sonst keine Geschenke zu bekommen. Okay, ich kenne keine Eltern, die tatsächlich dem Kind nichts geschenkt haben, weil es sich daneben benommen hat. Aber die Drohung rutscht einem doch schnell raus, oder? Mal eben ein “Du willst doch, dass der Weihnachtsmann auch zu uns kommt?””… So als einfacher Weg aus einer anstrengenden Situation? Und damit hat man das Kind letztlich doch erpresst. Man kann das harmlos finden und ich gehe nicht automatisch davon aus, dass davon die komplette Eltern-Kind-Beziehung im Arsch ist… aber wir wollen das für unsere Familie einfach nicht. Wenn ein Kind an den Weihnachtsmann glaubt, ist dieser Mechanismus nun mal nicht auszuschließen, selbst wenn die Eltern nicht mit Geschenk-Entzug drohen. Der Weihnachtsmann wird meiner Meinung nach immer untrennbar mit der Geschichte von “artigen und unartigen Kindern” verknüpft sein. Wenn es die Eltern selbst nicht so erzählen, werden es Andere tun. Wie wir ja erfahren mussten, gibt es aus der Nummer kein Entkommen.
Absolute Ehrlichkeit?!
Unser Kind will an den Weihnachtsmann glauben. Er weiß ja nicht, dass in Wirklichkeit kein Erwachsener an den Weihnachtsmann glaubt. Er ist voll in der “magischen Phase” und aus seiner Sicht glaubt die ganze Welt an den Weihnachtsmann. Er wird es doof finden, dass wir nicht mitmachen.
Wir haben als Eltern das ganze natürlich Zigfach durchgespielt. Was sollen wir machen? Was sollen wir sagen? Den Weihnachtsmann auf die Kita begrenzen fällt ja nun leider flach. Das Kind ist der Meinung: Wenn es den Weihnachtsmann gibt, dann soll der gefälligst seinen Job machen. Und zwar überall. Recht hat er ja (also theoretisch). Was wäre, wenn wir das Weihnachtsmann-Ding einfach mitmachen würden? Naja. Unser Kind fragt viel. Und fragt nochmal nach. Und lässt sich nie mit einfachen Antworten abspeisen. Er muss immer alles ganz genau wissen und oft erkennt er kleinste Logikfehler. Wir würden uns mit jeder Antwort noch tiefer in das Geschichtennetz vertricken, damit wir nicht auffliegen. Er würde immer kniffligere Fragen stellen. Irgendwann hätten wir uns so in kruden Argumenten verheddert, dass wir fallen würden.
Unser Kind hat außerdem einen großen Gerechtigkeitssinn und er ist sensibel. Wir glauben, es würde ihn hart treffen, wenn er herausfindet, dass es den Weihnachtsmann doch nicht gibt und wir ihm das die ganze Zeit vorgegaukelt hätten. Selbst, wenn er es sich nicht anmerken lassen würde. Wie machen das andere Eltern, frage ich mich. Setzen sie sich irgendwann mit ihrem Kind hin und sagen: „Ja, sorry, das ganze stimmt doch nicht!“ Oder wenn Eltern die Kinder selbst „irgendwie“ dahinter kommen lassen… wie geht es Kindern in dieser „Übergangszeit“, in der sie merken: „Irgendwas ist hier faul, aber keiner redet Klartext. Ich kann mit Niemandem reden, alle reagieren merkwürdig.“ In meiner Vorstellung fühlt sich das ziemlich einsam an. Ich weiß, “Lüge” ist in diesem Zusammenhang ein hartes Wort, aber für uns würde es sich so anfühlen. Das ist auch der Grund, warum wir kein Weihnachtsmann-Ersatz-Wesen erschaffen. Ich gebe zu, ich finde diese Wichteltüren unglaublich niedlich und würde so gerne einen Wichtel für die Weihnachtszeit einziehen lassen, der Schabernack treibt und kleine Geschenke vor seine Tür legt. (Aaaah. So Süß!) Aber das wäre ja doch nur das gleiche Prinzip.
Also landen wir immer wieder bei der absoluten Ehrlichkeit. Das ist scheiße, denn wir werden unser Kind enttäuschen müssen.
Magie braucht keinen Weihnachtsmann
Ich bin “ohne Weihnachtsmann” aufgewachsen und ich fand das nicht tragisch. Ich mein, ich hab auch Filme oder Bücher mit dem Weihnachtsmann (an)geschaut und fand die schön, aber ich bin eben von klein auf damit aufgewachsen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Mir hat kein Zauber gefehlt. Im Gegenteil, Weihnachten war und ist für mich magisch. Ich liebe, liebe, liebe Weihnachten. Meinen Mann habe ich angesteckt. Früher war er der absolute Grinch, aber mittlerweile freuen wir uns zusammen auf diese Zeit. Ich kenne, glaube ich, Niemanden, der noch begeisterter von Weihnachten ist als ich.
Als ich Kind war, hat meine Familie an jedem Adventssonntag nachmittags um den großen Tisch gesessen mit Adventskranz, Kerzenlicht, Keksen und duftenden Mandarinen. Und mein Papa, der weltbeste Kinderbuchvorleser on this whole Planet, hat meinen Geschwistern und mir Weihnachtsbücher vorgelesen. Wunderschöne und zauberhafte Weihnachts- und Wintergeschichten. Von Tomte Tummetott. Oder Lisabet, die einfach auf einem fremden Schlitten mitfährt. Das waren zauberhafte Stunden.
Die Weihnachtszeit in der Kirche hab ich auch in magischer Erinnerung. Mit den anderen Familien, meinen Freunden. Es war immer so schön gemütlich und festlich. (Und laut und trubelig. Wir waren viele Kinder.) Ich erinnere mich, dass auf jedem Tisch ein echter Apfel, ausgehöhlt als Kerzenhalter, mit ein bisschen Tannengrün stand. Das fand ich schön. Wir Kinder probten in der Adventszeit für das Krippenspiel, das jedes Jahr ein bisschen anders war. Meine liebste Krippenspiel-Version war in dem Jahr, als die ganze Geschichte musical-mäßig gesungen wurde.
Weihnachtszauber mitnehmen
Vielleicht hätte ein Weihnachtsmann bei all dem nicht geschadet. Aber wofür hätte es einen gebraucht? Ich hatte Magie zu Weihnachten. Ich habe Magie. Zur Weihnachtszeit wird mir immer ganz warm ums Herz. Ich weiß, dass unsere Familie ihre eigenen kleinen Traditionen finden muss. Was für mich den Zauber von Weihnachten ausmacht? Ganz doll klischeehaft: Zusammen sein, Familie, Freunde, Licht, Gemütlichkeit, Musik, Entschleunigung, Ankommen. Für mich ist das nicht nur ein Wunsch, sondern so empfinde ich das (und ja, natürlich haben wir trotzdem auch tonnenweise Stress). Wir wünschen uns diese Art Weihnachtszauber für unsere Kinder. Diesen Weihnachtszauber, der sich nicht irgendwann entzaubert, wenn die Kinder groß werden. Sondern einen Zauber, den sie mitnehmen in ihr gesamtes Leben.
Und nu?
Ja, gute Frage. Wir müssen mit dem Kind sprechen. Bald. Demnächst. Ok, man, wir drücken uns davor. Wir geben’s zu. Lange sollten wir aber nicht mehr warten. Weihnachten kommt schneller als man denkt. Und es sollte geklärt sein, bevor der Wahnsinn losgeht. Drückt uns die Daumen.