Kurz vorweg: Das hier ist eine Erklärung von Laien für Laien. Das, was uns erklärt wurde bzw. das, was wir verstanden haben, in eigenen Worten wiedergegeben. Und natürlich die Erfahrung von uns als Familie; ganz unmedizinisch sozusagen. Es ist in keinster Weise zur Eigendiagnostik gedacht oder soll Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen. Wenn dein Baby dich um den Verstand schreit, dann suche dir bitte, bitte Hilfe!
Was soll „Regulation“ heißen?
…sich selbst in einen Zustand zu bringen, zufrieden zu sein, sich sicher zu fühlen, bei sich selbst sein zu können.
Babies mit einer Regulationsstörung haben Schwierigkeiten – Tada! Überraschung! – sich zu regulieren. Was soll das heißen? Also wenn ich persönlich von regulieren spreche, dann meine ich (ganz unmedizinisch ausgedrückt) ungefähr sowas wie „sich selbst in einen Zustand zu bringen, zufrieden zu sein, sich sicher zu fühlen, bei sich selbst sein zu können“. Ich finde den Begriff Regulationsstörung ein wenig irreführend, denn jedes Baby hat Schwierigkeiten sich zu regulieren. Man spricht sogar davon, dass Säuglinge sich überhaupt nicht alleine regulieren, sondern ihre Vertrauenspersonen dafür brauchen. Wie dem auch sei: Babies mit einer Regulationsstörung können sich auch mit den besten Hilfestellung nur schwer regulieren.
Babies kommen aus der wohligen Wärme und Enge des Mutterleibes in eine Welt voller Licht und Farben, wechselnder Temperaturen, verschiedenster Geräusche, anderer Menschen und Lebewesen, langsamen und schnellen Bewegungen. Diese ganzen Eindrücke und Empfindungen nehmen sie auf und müssen sie verarbeiten. Das ist bei allen Babies so. Wie gut ihnen das gelingt ist unterschiedlich und hängt natürlich auch mit dem Charakter des Kindes zusammen. Es gibt viele Babies, die zum Beispiel abends eine Stunde schreien um damit einen sehr aufregenden Tag mit vielen Erlebnissen zu verarbeiten. Eine vertraute Umgebung, ihre Vertrauenspersonen sowie Enge und rythmische Bewegungen (also Dinge, die sie aus der sicheren Zeit im Mutterleib kennen) helfen eigentlich allen Babies dabei, sich zu regulieren. Wie gut ein Baby das kann, ist unterschiedlich.
Reize-Tank und Schlaf-Tank
„Achtung, Achtung! Wir stehen kurz vor dem Kollaps des Systems. Achtung, Achtung!“. Irgendwann ist der Tank randvoll und läuft über.
Konkret für den Alltag hilft es mir, wenn ich mir vorstelle, es gibt zwei Tanks bei unserer Tochter. Einen Reize-Tank und einen Schlaf-Tank. Im normalen Wachzustand wird der Reize-Tank quasi permanent „wie von selbst“ mit Reizen aufgefüllt. Denn so ist das Leben. Jede Berührung, jede Ansprache, jedes Schauen – alles Reize. Je voller ihr Reize-Tank wird, desto schwieriger ist es für unsere Tochter „bei sich“ zu sein. Sie wird immer angespannter und meckeriger. Am Tank geht quasi die Alarmleuchte an. (In meiner Fantasie auch mit lautem Sirenensound, während eine Stimme aus dem Lautsprecher sagt „Achtung, Achtung! Wir stehen kurz vor dem Kollaps des Systems. Achtung, Achtung!“). Irgendwann ist der Tank randvoll und läuft über. Unsere Tochter ist „außer sich“ und schreit. Wenn sich der Reize-Tank im normalen Wachzustand füllt, wie kann man ihn leeren? Am besten durch Schlaf. Der Schlaf-Tank wird natürlich durch Schlaf aufgefüllt und gleichzeitig wird Erlebtes verarbeitet. Nach einem guten Nickerchen ist also wieder Platz im Reize-Tank für neue Eindrücke.
Schlafen – wenn’s denn so einfach wäre
Unsere Tochter WILL diese ganzen Reize. Während wir permanent versuchen, die Reizüberflutung aufzuhalten, möchte sie mitten in die Wellen springen.
Schon ein paar Tage nach der Geburt fiel allen auf, was für riesige Augen unsere Tochter doch hatte. Dass sie ja schon so aufmerksam war und einen wissend ansah. Dass sie schon umher guckte und ihre Umgebung komplett in sich aufzusaugen schien. Am Anfang ist das sogar sehr niedlich. Die Ärztin im SPZ sagte später, als sie unsere Tochter untersuchte: „Jaja, das sind oft diese Babies, die eigentlich nur aus Augen zu bestehen scheinen…“
Schlaf ist, zumindest bei uns, der wichtigste Faktor um einigermaßen gut durch den Tag zu kommen. Leider ist das nicht so leicht, denn Babies mit Regulationsstörung schaffen es leider nicht, sich den Reizen ihrer Umgebung zu entziehen um soweit runterzukommen, dass sie einschlafen könnten. Viele andere Babies drehen beispielsweise den Kopf weg, wenn sie für den Moment genug Interaktion hatten. Sie minimieren von sich aus die Reize, damit der Tank nicht überläuft. Babies mit Regulationsstörung müssen auch noch mit weit aufgerissenen Augen alles in sich aufnehmen, wenn sie völlig fertig sind. So lässt es sich natürlich verdammt schwer einschlafen.
Viele Babies finden in den Schlaf, wenn sie abgeschirmt werden, zum Beispiel im Tragetuch. Die Minimierung von Reizen spielt beim Begleiten von Babies mit Regulationsstörung deshalb auch eine große Rolle. Leider kann es auch nach hinten losgehen. Unsere Tochter WILL diese ganzen Reize. Während wir permanent versuchen, die Reizüberflutung aufzuhalten, möchte sie mitten in die Wellen springen. Auf biegen und brechen und mit aller Macht. Wenn man dann versucht die Reize zu begrenzen, sie abzuschirmen, kann sie stinkewütend und fuchsteufelswild werden. Dann schreit sie sich weg. Nicht auf Grund der Reizüberflutung, sondern weil sie sauer ist, dass sie keine Reize bekommt. Eine Lose-Lose-Situation. Manchmal ist das Leben echt kacke.
Woher kommt die Regulationsstörung?
Das werden wir immer gefragt. Wir haben auf diese Frage bisher keine richtige Antwort bekommen. Unsere Ergotherapeutin und auch die Kinderärztin sagen, dass es nicht klar ist und es viele Faktoren gibt. Wenn ich googel, dann taucht immer wieder die Theorie auf, dass vor allem Babies mit einer sehr schnellen Geburt oder einem Kaiserschnitt davon betroffen sind. Bei dieser Theorie fehlt den Babies die Enge des Geburtskanals. Durch die Enge spüren sich die Babies, sie spüren ihre eigene Körperlichkeit, ihre eigene Begrenzung. Da diese Erfahrung fehlt bzw. nicht ausgiebig genug erfahren wurde, sind sie in dieser Hinsicht aus dem Gleichgewicht geraten. Nicht bei sich – außer sich. Unsere Tochter wurde innerhalb von zweieinhalb Stunden geboren. Das könnte also hinkommen. Aber wie gesagt ist es nur eine Theorie, die anscheinend nicht hinreichend evidenzbasiert gestützt ist. Ich bin sicher, es gibt sehr viele Kaiserschnitt- und Schnellgeburtskinder, die keine Regulationsstörung haben.
Und wie sind die Prognosen?
Auch das werden wir immer wieder gefragt. Auch hier gibt es keine Antwort, da die Heftigkeit der Regulationsstörung wohl sehr variiren kann. Manche Babies haben sich schon nach 2 bis 3 Therapieeinheiten so gut entwickelt, also das Verpasste nachgeholt, dass sie und ihre Eltern eigentlich keine weitere Hilfe mehr benötigen. Naja, das ist bei uns nicht der Fall, aber wir denken, dass spätestens mit dem ersten Geburtstag unserer Tochter der größte Spuk vorbei sein sollte. Zumindest meinen wir, dies bei unserer Ergotherapeutin „rauszuhören“, die sich aber bei der Frage ebenfalls nicht explizit festlegt.